Obwohl es das Recht eines jeden Menschen ist, den höchstmöglichen Gesundheitszustand zu erlangen und ihn sich zu erhalten, sieht die Realität für die in Armut lebende Bevölkerung in vielen Ländern anders aus. Pharmakonzerne bieten ihre Produkte zu für Arme unbezahlbaren Preisen an und hindern andere Firmen durch Patente daran, die lebensnotwendigen Medikamente in gleicher Qualität nachzumachen und günstiger und für die breite Masse zu produzieren.
So lauteten die Kernaussagen des am 26.08.2009 von Christiane Fischer von der BUKO Pharma-Kampagne auf Einladung von Amnesty International Paderborn und der Aidshilfe Paderborn gehaltenen Vortrags zum Thema „Entwicklungen und Perspektiven innerhalb des Patentrechts sowie Mechanismen in der Pharmaforschung am Beispiel von Aidsmedikamenten“.
Die BUKO Pharma-Kampage „wurde mit dem Ziel gegründet, die Aktivitäten der deutschen Pharmaindustrie in der Dritten Welt zu untersuchen“. Diese Aktion der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO), einem Zusammenschluss von über 200 Dritte-Welt-Aktions- und Solidaritätsgruppen sowie Einzelpersonen in Deutschland, thematisiert seit 1981 die Schattenseiten des Arzneimittelmarktes in Nord und Süd und setzt sich für das Menschenrecht auf gesunde Lebensbedingungen ein (nähere Informationen finden Sie auf der Website der BUKO Pharma-Kampagne).
Der Vortrag war drei Themen gewidmet: Die Referentin legte kurz die Geschichte des Patentrechtes dar und sprach dann über angebliche und reelle Kosten für die Entwicklung und Vermarktung von neuen Medikamenten. Sie stellte zum Schluss die Frage, ob westliche Pharmakonzerne überhaupt an der Art von Medikamenten forschen, die in Entwicklungs- und Schwellenländern dringend zur Bekämpfung von Krankheiten wie Aids, Malaria, der Schlafkrankheit und Typhus gebraucht wird, oder ob der Großteil der neu auf den Markt gekommenen Medikamente nicht eher zur Linderung von Luxuskrankheiten dient. Schließlich erläuterte sie mögliche Alternativen für Patente.
Die Referentin informierte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer darüber, dass Pharmakonzerne selten die Kritik annehmen, dass sie ihre Produkte in Entwicklungs- und Schwellenländern sehr viel günstiger verkaufen könnten. Zur Zeit kostet ein Aidsmedikament in Deutschland beispielsweise um die 10 000 Euro pro Person und Jahr und in Afrika 500 bis 1000 Euro. Frau Fischer argumentierte, dass die erheblichen Rabatte aber trotzdem bei Weitem nicht ausreichen, um die Medikamente für die arme Bevölkerung zugänglich zu machen. Für die Menschen in Afrika, die durchschnittlich nur 8 Euro pro Jahr für ihre Gesundheit ausgeben können, ist auch der reduzierte Preis zu hoch.
Die Produktionskosten können nicht der Grund für die hohen Preise sein, da Konkurrenzfirmen in Indien – einem Land, das bis 2005 als Schwellenland noch keine weltweiten Patente akzeptieren musste – das gleiche Präparat für nur 90 Euro herstellen können. Das, was angeblich die Preise in die Höhe treibt, sind die Forschungskosten. Diese werden für ein neu auf den Markt gebrachtes Medikament mit 800 Millionen Euro angegeben.
Laut Referentin können diese von den Pharmakonzernen vorgerechneten Kosten in Wirklichkeit halbiert werden, weil einerseits die meisten Forschungsprojekte staatlich unterstützt werden und die Firmen bei Investitionen in Forschung Steuern einsparen. Andererseits rechneten die Pharmakonzerne imaginäre Kosten auf den tatsächlichen Preis auf, da sie mit dem in Forschung investierten Geld an der Börse mehr hätten verdienen können (die so genannten opportunity costs). Wenn man jetzt noch die erheblichen Werbekosten abzieht, werden aus 800 Millionen Euro schnell nur noch 400. Trotzdem argumentieren die Pharmakonzerne, dass der Wettbewerbsvorteil, den sie haben bis jemand das Medikament nachmachen kann, nicht ausreicht, um ihre Kosten zu decken. Stattdessen sehen sie es als gerechtfertigt an, Patente anzumelden.
Diese Sichtweise vertraten die Pharmakonzerne nicht schon immer. Tatsächlich wurde das erste Patent auf ein Medikament erst 1968 vergeben. Der einfachste Grund gegen ein solches Patent war, dass Patente für Personen und nicht für Firmen vergeben wurden. Hatte ein Individuum eine gute Idee – schrieb er oder sie zum Beispiel ein Buch – sollten ihre/seine persönlichen Rechte geschützt werden. Schließlich sind die Menschenrechte primär als Rechte für den Einzelnen gedacht.
Außerdem waren die Konzerne in der Vergangenheit noch selbst davon überzeugt, dass Patente die Forschung hemmen. Denn warum sollte eine Firma ein Medikament verbessern wollen (ob es nun um eine Minderung von Nebenwirkung oder zum Beispiel um hitzebeständige Varianten geht, die auch in heißen Gegenden gebraucht werden können), wenn eine andere Firma der alleinige Profitträger wäre. Es wurde erkannt, dass es bei lebensnotwendiger Forschung im Gegensatz zum Beispiel zum Copyright keine Einschränkungen geben darf, damit den Menschen schnell und effizient geholfen werden kann.
Mit der Zeit wandelte sich aber die Situation und plötzlich war der Profit anscheinend wichtiger als alles andere. Leider ist bei vielen Pharmakonzernen diese Sicht der Dinge immer noch erhalten, obwohl Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schon lange gegen Patente auf Medikamente stimmen. So lautete eine WHO Resolution 2006/7: Patente bieten keinen Anreiz zu Forschung an vernachlässigten Krankheiten.
Auch das TRIPS-Abkommen der Welthandelsorganisation, das „sicherstellen [soll], dass die Maßnahmen und Verfahren zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums nicht selbst zu Schranken für den rechtmäßigen Handel werden“, sieht vor, dass ein Land, das einen Gesundheitsnotstand ausruft, keine Patente auf Medikamente anerkennen muss. Allerdings dürfen die produzierten Medikamente nicht exportiert werden.
Das Problem an dieser Einschränkung ist, dass die meisten Länder, die Gebrauch von dieser Schutzklausel machen könnten, weil sie große Probleme mit Krankheiten haben, die im Westen nicht vorkommen oder längst ausgerottet sind, so arm sind, dass sie keine eigene Pharmaindustrie haben. Sie können auch nicht über Schwellenländer wie Indien versorgt werden, weil diese ihre Produkte nicht exportieren dürfen. Ein weiteres Problem mit der Schutzklausel ist, dass sie sehr selten eingesetzt wird, weil große Firmen und mächtige Länder Druck auf potenzielle Anwender ausüben. Pharmakonzerne drohen, keine neuen Medikamente im betroffenen Land zuzulassen und Länder wie die USA kündigen an, Handelsbarrieren aufzubauen.
Schließlich verdeutlichte die Referentin den Zuhörern, dass es sich bei den Medikamenten, um die es für die Länder des Südens geht, keineswegs um neue Produkte handelt: Zwischen 1975 und 2006 waren von den 1600 neuen Medikamenten nur 1% gegen Tropenkrankheiten, obwohl diese 10% der Weltkrankheitslast ausmachen. Dies hat zur Folge, dass die meisten Medikamente gegen tropische Krankheiten noch aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stammen. Es besteht also dringend Forschungsbedarf, damit Nebenwirkungen eingeschränkt, die Wirkung verbessert und Alternativen für Fälle von Resistenzen geschaffen werden.
Als Lösung schlug die Referentin verschiedene Modelle vor, die teilweise schon im Einsatz sind. Darunter war das so genannte Prizing: Es wird ein Wettbewerb für ein bestimmtes Präparat ausgeschrieben, und derjenige, der es als erster erfindet, bekommt einmalig Geld. Danach darf es jeder produzieren. Eine andere Variante, die fairer ist, als ein alleiniges Patent einer Firma heißt Patent Pool: Alle die mit entwickeln, dürfen später das Ergebnis nutzen. Der dritte Vorschlag lautet Product Development Partnerships: Pharmakonzerne arbeiten mit NGOs und staatlichen Organisationen zusammen und streben entweder kein Patent an oder verteilen gemeinsam Lizenzen.
Insgesamt war dieser leider nur von wenigen Zuhörern besuchte Vortrag sehr informativ und eine gelungene Zusammenarbeit mit der Aidshilfe Paderborn. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben am Ende noch viele Fragen gestellt und sich Infomaterialien mitgenommen.